Bulgarien

deutsche Lebensmittel in Bulgarien; Transportkosten: ca. 50% des Wahrenwertes

 

So ging es für mich als Kassierer in Bulgarien weiter. Ich war selbst überrascht von meinem Durchhaltevermögen. Aber Bulgarien reizte mich. Schon als ich das erste mal dort war, fühlte ich den Hauch von Heimat. Ich hatte überhaupt keine Probleme mit der Mentalität dieser Leute dort.

Ich wußte, daß sie mich anlogen. Und sie wußten, daß ich es wußte. Es war ein faires Verhältnis. Wir grinsten uns einen und nastrawije. Vor allem die Kinder dort waren für mich überhaupt kein Problem. Wir schauten uns kurz an und sofort war alles klar. Verbale Sprache war überflüssig. Körpersprache um so wichtiger. Jedes Kind dort war mindestens genau so alt wie ich. Alt an Lebenserfahrung und alt an persönlichem Leid.

Da ich russisch an der Schule lernte, konnte ich auch noch ihr kyrillisches Geschnörkel entziffern. Angenehm dabei war, daß mich diesmal kein schwäbischer Überfall-Notfallreparaturtrupp mit neurotischem Helfersyndrom begleitete. Ich hatte meine Ruhe und konnte Land und Menschen kennenlernen und genießen. Alles paßte irgendwie. Das schönste war jedoch, daß unsere wichtigsten Partner in Bulgarien, daß Bulgarische Rote Kreuz, die selbe Bildung hatten wie ich. Stundenlang konnten wir reden und reden, ohne das man jemanden erklären mußte wer Majakowsky ist und das Tucholsky zwar einen russischen Namen hatte, aber Deutscher war. Nach 16 Jahren Westdeutschland war das Balsam für meine Seele.

Und etwas anderes war noch wichtig. Das Dèj à-vu. Wie schon vorher in Kroatien, so hatte ich es auch hier. Ich hatte es immer, sobald der Balkan sich näherte. Es war eine Erinnerung an eine Heimat in Bessarabien. Eine Heimat, die ich nie kannte.

Mein erstes Dèjà-vu dieser Art hatte ich 1988 in einem Tübinger Kino. Eine gute Bekannte und ich schauten uns den Film Time of the gypsies von Emir Kusturica an. Ich schaute ihn nicht nur an, ich war im Film. Ich war der Film. Mein Herz führte Regie. Ich war überwältigt von all der Schönheit, Liebe und Heimat. Ich war getroffen. Ich war gelähmt.

Bevor der Abspann aus war, drängte ich mich an allen Leuten vorbei zum Ausgang. Ich sah nichts mehr. Ich hörte nichts mehr. Ich mußte 100 Meter rennen um wieder Luft zu holen. Meine Bekannte rannte hinterher. „Mike, was ist los. Bleibe doch stehen.“ Ich blieb stehen. Sprachlos. Ich konnte keine Wörter formen oder denken. Zitternd und mit Freudentränen in den Augen gelang es mir noch meine Bekannte ganz fest zu umarmen. Mich zu halten. Mich auszudrücken.

Ja, der Balkan hatte mich das erste mal geküßt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte Heimat gefühlt. Die Richtige. Kein Ersatz aus der Dose. Keine Doppel-Wopper Heimat. Keine Jetzt-noch-günstiger Heimat. Keine Kaufe-und-spare, mich verhöhnende Heimat. Ich fühlte eine Heimat in der getanzt, gesungen und geliebt wurde. Ohne Angst vor morgen.

 

Die erste Zeit in Bulgarien war ich für KbF mit dem Üblichen beschäftigt: Schadensbegrenzung. Ich löffelte Suppen aus, die mir nicht schmeckten und die ich nie kochen würde. Meistens ging es um Geld und mangelnde Kommunikation darüber und daraus resultierenden Verwirrungen. Das meiste konnte schnell geklärt werden.

Als Kassierer und denkender Mensch war ich der Meinung, daß unsere Lebensmittel-transporte nach Bulgarien, die 30% des Warenwertes kosteten, überdenkt werden sollten. Durch Erfahrungen vor Ort wurde ich darin bestärkt. Es gab genug Lebensmittel in Bulgarien und sie waren auch nicht teurer als in Deutschland. Bulgarien hatte und hat kein Lebensmittelknappheitsproblem, sondern ein gesellschaftliches und soziales internes Verteilungsproblem. Das konnte man mit Bargeld vor Ort und im Interesse der Kinder in den Heimen am effektivsten lösen. Mit diesen Gedanken jedoch stieß ich bei den relevanten Entscheidungsträgern bei KbF auf Granit. Das wichtigste Gegenargument von dieser Seite hieß: das haben wir schon immer so gemacht. Wozu das ändern, wenn es so schön funktioniert?

Mit hat es schier den Vogel raus gehauen, ob soviel Dummheit und Ignoranz. Ich dachte mir, die werden in 10 Jahren, wenn Bulgarien längst EU-Mitglied ist, immer noch bulgarischen EU-subventionierten Weizen in Deutschland einkaufen und wieder zurück in das Ursprungsland bringen. Einfach so. Weil es so schön ist. Mir wurde klar ich habe es hier mit Leuten zu tun, für die Nachdenken etwas schlechtes ist. Es ist Böse. Man macht es nicht. Und zack gibt’s einen auf die Finger. Froh war ich, daß diese verstaubten KbF-Mumien von vorgestern nicht schon früher das Sagen hatten. Sonst täten wir heute noch in Höhlen leben. Hat man ja schon immer so gemacht.

Was für ein Argument!

Nach zwei Jahren hatte ich wenigstens einige Bedenkenträger bei KbF so weit, daß man sich, als Versuchsmodel, einmal traute wenigstens für einen kleinen Teil der Spenden bulgarische Lebensmittel vor Ort einzukaufen und zu den Heimkindern zu bringen.

Alleine solche banalen Wahrheiten und Erkenntnisse in KbF hinein zu tragen kosteten mich ein Vermögen an Energie. Die Lebensmitteltransporte behielt man trotzdem bei. Sie waren die beste Möglichkeit um, als Zuladung, all den Speermüll wieder los zu werden, den man als Hilfsorganisation über das Jahr so vor die Tür gestellt bekommt. Spender sind da sehr sensibel und schnell beleidigt, wenn man ihnen erklärt, daß unsere aidskranken Kinder in Ruanda gerade keine orthopädischen Gummibrüste in XXL brauchen. Also nimmt man was kommt. Und sagt auch noch Danke.

Danke im Namen der Kinder.

Was für ein Job! Und das auch noch ehrenamtlich. Ein Danke für UNS wird wohl erst kommen, wenn wir in der Kiste liegen.

 

Mein Abschied und letztes Versagen bei KbF wurde in Bulgarien eingeleitet durch eine Baumaßnahme, die der Verein beabsichtigte in einem Kinderheim durchführen zu lassen. Daß heißt eigentlich war es kein Versagen. Ich wurde reingelegt. Aber nicht von den Bulgaren. Und eigentlich war es anfangs auch keine Baumaßnahme des Vereins.

Damals flog eine Person aus dem Umkreis des Vereins hin und wieder zu einem bestimmten Heim dort. Mehr privat, als im offiziellen Auftrag. Ich fand das gut. Fand gut, daß da mal jemand sich engagiert ohne das man ihn dafür überreden mußte. Das war Eigeninitiative, so wie ich sie liebte.

Und das beste war, diese Person konnte etwas einbringen, was keiner von uns konnte. Sie war eine ausgebildete Pädagogin mit viel Erfahrung in Sachen betreutes Wohnen und schrägen und mißhandelten Kids. Irgendwann entschloß sich diese Person in Deutschland ein Haus zu bauen und nahm sich vor, Lieferanten für ihr Haus zu motivieren, etwas für die Sanitäranlagen des Heimes in Bulgarien zu spenden. Kloschüsseln oder Bargeld. Egal. Es sah alles recht gut aus. Die Nachrichten waren positiv. Aber es ging nicht vorwärts.

Ich kannte die Santitäranlagen dort. Ich schiß auf dem selben Klo, wie die Kids. Ich duschte unter der selben Brause, wie sie. Und ich putzte meine Zähne über der selben Futtertrog-Steinrinne wie alle dort. Ich fand das nicht besonders schlimm und hatte auch nicht den Eindruck, daß die Kids damit Probleme hätten. Ich glaubte sie hatten andere Sorgen. Stehklos, oder besser hock-dich-hin-und-versuch-zu-scheißen Klos, sind trotzdem gewöhnungsbedürtig. Aber es funktioniert auch.

Nun gut, wenn jemand in Deutschland den Kindern was gutes tun wollte, sollte es recht sein. Vor allem die Anzahl der Duschen und der Warmwasservorrat der E-Boiler war mager. Eine heiße Dusche im Winter sollte jeder haben. Auch wenn klar war, daß , wenn die Kids mit 18 Jahren das Heim verlassen mußten, sie diesen deutschen Standart nie wieder haben werden.

Jedoch es ging nicht voran mit der Sanierung und Sponsoren für selbige. Ich hatte die Sache bald in’s Hinterhirn geschoben und kümmerte mich um andere Sorgen.

Als ich später mal wieder in besagten bulgarischen Heim war, schob der Heimleiter mir einen Brief zu. Ich fragte: ist das für KbF? Nein, nein der sei für jemanden, der sie öfters besuchte. Darin sei ein Kostenvoranschlag für die Sanierung der Sanitäranlagen. Man wollte ihn in Deutschland haben.

Ich freute mich und dachte mir: da geht jetzt ja doch was. Ich fragte, ob ich das mal lesen dürfte und schaute kurz hinein. 10.000 inklusive Arbeitsleistung schien mir nicht zuviel, wenn alles sauber gemacht wird. Ich dachte mir: diese Person in Deutschland geht ja ganz schön rann. Offenbar hatte sie da einen großen Spender bei der Hand.

Der Kostenvoranschlag war in Kyrillisch geschrieben. Ich gab ihn in Deutschland bei der Privatperson ab.

24 Stunden später landete dieses Dokument auf dem „Küchentisch“ von KbF. Als ich ihn dort entdeckte, war meine erste Frage: was macht DER den hier? Die Antwort war die Standartantwort auf ungebetene Fragen: Schweigen.

Ich bat daraufhin den eigentlichen Empfänger des Briefes, doch bitte, bitte dieses Dokument erst mal übersetzen zu lassen, bevor man ihn dem Verein auf s Auge drückt. Nach eigenen Angaben hatte diese Person ja einige Dolmetscher bei der Hand. Ich hatte damals keinen. Es war vergebens. So wurde diese Sache zur KbF Sache und landete bald darauf zum Beschluß auf der monatlichen Vorstandssitzung. Wer ist dafür? Wer ist dagegen? Einstimmig angenommen! Erich Honecker würde wieder auferstehen, wenn er wüßte, daß es so etwas gibt. Putin träumt wohl heute noch davon. Es gab keinen Antrag bei diesem Verein, der nicht mit 100% JA-Stimmen angenommen wurde.

Meinen Frage und Bitte, vor der Abstimmung, ob es eventuell einen Sinn mache sich diesen Kostenvoranschlag erst einmal übersetzen zu lassen, bevor man dazu eine Meinung hätte, verhallte irgendwo zwischen Andromeda und Saturn. Und ist inzwischen wohl auf dem Titan gelandet.

Als Kassierer hätte ich sofort zurück treten müssen. Da wurden doch tatsächlich Spendengelder freigegeben auf Grund eines Dokumentes, auf dem niemand auch nur drei Buchstaben entziffern konnte. Für mich war diese Situation nicht neu. Ich hatte schon früher die Erfahrung gemacht, das ich den Vorständen, statt den aktuellen Kontoständen. auch die Lottozahlen hätte vorlesen können. Die hätten das gar nicht gemerkt. Wer ist dafür? Hand nach oben. Fertig. Damals begriff ich, wie das deutsche Reich funktionierte haben könnte. Jemand hätte die Lieferung einer Pizza Calzone für Timbuktu, einzufliegen mit einem Privatjet, beantragen können. Die hätten auch dazu noch ja gesagt.

Es war nur noch zum heulen.

Als Mensch wollte ich wissen, wie sahen die Bulgaren die Sanierung? Sahen sie es so wie ich, daß ein 80 Liter Boiler zu klein ist und pro Bad ein 150 Liter Gerät sinnvoll wäre? Sahen sie es so wie ich, daß aus einer Dusche zwei werden sollten usw. Zu erfahren, was die Bulgaren für notwendig und sinnvoll hielten, hätte es mir erleichtert, sie zu verstehen. Ich wollte ja wissen, wer sie waren, wie sie dachten. Wollte wissen was IHNEN wichtig war. Ich besorgte mir ein Wörterbuch und entschloß mich diesen Kostenvoranschlag zu übersetzen. Für mich war das ein Zeugnis aus einer anderen Welt. Ich setzte dieses Vorhaben nicht um.

Da nun klar war, daß KbF dieses Projekt machen wird, beschloß die Bulgarien-AG aus eigenen Kräften das benötigte Geld durch Veranstaltungen und Spendenaquise zu erwirtschaften. Man wollte in die Verantwortung für die Umsetzung gehen. Und sich nicht darauf verlassen, daß irgendwer, irgendwo schon irgendwie das Geld besorgt. Das klappte auch recht gut. Ich konnte 3.000 Spenden besorgen und jemand anderes besorgte auch noch einiges. So war in kurzer Zeit die Hälfte der Bausumme gedeckt.

Besagte Privatperson, von der eigentlich alles ausging, flog kurze Zeit später nach Bulgarien und überbrachte im KbF-Auftrag die ersten 5.000€ für die Sanierung. Man solle schon mal anfangen, der Rest komme bald. Damit es auch bis zum Wintereinbruch abgeschlossen ist. Man bleibe ja in Kontakt.

Zurück in Deutschland unterhielt ich mich kurz mit der Person. Sie erzählte, daß alles erledigt sei. Sie sagte auch, daß es gut war das Geld nicht zu überweisen, sondern persönlich vorOrt zu deponieren. Dadurch hätte sie nämlich erfahren, daß man in besagtem Heim schon Pläne hätte, einen Teil des Geldes für völlig andere, aber auch wichtige, Baumaßnahmen zu verwenden. Sie konnte das gerade noch abwürgen und klar stellen, daß der Kostenvoranschlag, was immer dadrin steht, einzuhalten sei.Sollte es Änderungswünsche geben, müßte man das direkt mit dem Spender, also uns, kommunizieren. Man sei jedoch sicher, daß diese andere finanziell geringere Baumaßnahme, es ging um die Reparatur oder Ersetzung zugiger Türen der Schlafräume des Heimes, kein Problem sei, wenn man in Deutschland sähe, daß die erste Baumaßnahme wie verabredet über die Bühne ginge. Ist ersteinmal gegenseitiges Vertrauen geschaffen, durch gemeinsam Geleistetes, wäre das sicherlich nicht das Ende des finanziellen Engagements desVereines in besagtem Heim.

Soweit hörte sich das ganze doch gut an.

Aber es gab auch eine andere seltsame und inoffizielle Nachricht. Die Person berichtete auch, über drei Ecken von ihrer Dolmetscherin vor Ort, sozusagen beim Kaffeeklatsch, erfahren zu haben, daß man nicht so recht mit den Baumaßnahmen anfangen wolle, bevor nicht die komplette Bausumme in Bulgarien sei. Ich mußte mit ansehen, wie diese Gerüchte aus Bulgarien, KbF intern, als unumstößliche Fakten weitergereicht wurden. Aus einem Phantom wurde, ohne Recherche, Tatsachen gebastelt. Zum Schluß wurde sogar postuliert: das bulgarische Sozialministerium gestatte keine Baumaßnahme ohne eine 100%ige Vorabfinanzierung.

Ich fragte mich, was ist das jetzt? Wir hatten doch in Ruanda beim Bau des Kinderdorfes bewiesen, daß eine Splitfinanzierung die beste Lösung ist. Ist ein Bauabschnitt fertig und dokumentiert, wird der Nächste finanziert. Wieso sollte in Bulgarien nicht gehen, was selbst in einem Kaff wie Kigali funktionierte?

Niemand zahlt in Deutschland beim Häuslebau seine Handwerker zu 100% im Voraus. Man behält bis zum Schluß immer etwas zurück, um bei Reklamationen auch ein finanzielles Argument zu haben. Was sollte das jetzt heißen: man will alles Geld bevo rman überhaupt daran denkt anzufangen?

Naja, ich dachte: meine Bulgaren mal wieder. Geschwätz ohne Ende. Mir fiel jedoch auch ein, daß wir völlig vergessen hatten, mit den Bulgaren zu reden. Wir hatten ihnen doch tatsächlich unser Geld aufs Auge gedrückt, ohne vorher auch nur ein Gespräch darüber zu führen. Darüber, wie wir uns den Ablauf vorstellten. Wer ist für uns der verantwortliche Bauherr? Wer kontrolliert für uns die Finanzen und rechnet mi tuns ab? Usw. Wir überforderten die Bulgaren total. Das ganze KbF-Chaos haben wir über sie ausgeschüttet und wunderten uns jetzt, daß es nicht los geht. Verkompliziert wurde die Lage noch da durch, das wir zwei Ansprechpartner für die Baumaßnahme in Bulgarien hatten. Und beide waren sich nicht grün. Auf der einen Seite war die Heimleitung, die ja irgendwie als Bauleiter in Betracht kam. Immerhin war es ja ihr Heim und der Kostenvoranschlag kam ja auch von ihnen. Auf der anderen Seite waren unsere langjährigen Partner des Bulgarischen Roten Kreuzes, die unsere Arbeit vor Ort organisierten und für sich in Anspruch nahmen, daß Geldmittel über sie laufen sollten. Damit sie für uns die korrekte Verwendung kontrollieren können.

Jetzt wo so viel Geld floß, kriegten die da unten alle die Krise. Wer darf jetzt was damit anstellen?

KbF gab sich nicht die geringste Mühe es den Bulgaren dabei, durch klare Ansagen und Vorgaben einfacher zu machen. Ich meine, daß läuft dort auch nicht anders als in Deutschland. Baut jemand ein Haus, hat auf einmal jeder hier irgendwo einen Cousin oder sonst was mit einem Baugeschäft. Und jeder hofft auf einen Auftrag. Aber diese Probleme mußten die Bulgaren schon unter sich lösen.

Ich beschloß bei KbF mal wieder meiner Haupttätigkeit nach zu gehen. Es war mal wieder Zeit für etwas Schadensbegrenzung. Auch taten mir die Bulgaren leid. Wir ließen sie bei wichtigen Entscheidungen völlig alleine. Wir begleiteten unsere Partner vor Ort nicht im geringsten.

Das mußte nicht sein. Und durfte auch nicht sein. Da mußte Klarheit geschaffen werden. Also schrieb ich einen Brief an unsere bulgarischen Partner, worin im nachhinein alles klargestellt wurde, was eigentlich vorher hätte klargestellt werden sollen. Ich bestimmte den Heimleiter als Bauherren, der entschied was wo eingekauft wird. Und ich bestimmte das BRK als „Bank“ die unser Baugeld verwaltet. Der Heimleiter sollte die wichtigen Bauentscheidungen treffen und seine Ausgabebelege dem BRK vorlegen. Diese sollten die Korrektheit und Sinnigkeit prüfen und bei Erfolg das Geld an den Heimleiter auszahlen. Das BRK sollte dann wiederum mit uns abrechnen. Eine ganz klare Kommunikations- und Kompetenzstruktur war mein Angebot, um es den Bulgaren leichter zu machen. Das BRK erhielt von mir auch den Kostenvoranschlag der Heimleitung, damit alle da auf den gleichen Infostand sind. Ich stellte in diesem Brief auch klar, das die Spender in Deutschland wünschen, daß mit den Baumaßnahmen so schnell wie möglich begonnen wird. Ich versicherte auch und schwor mit meinem persönlichen Namen, daß die zweite Hälfte der Bausumme bereit steht und von mir als Kassierer unverzüglich überwiesen wird, wenn der erste Teil fast verbraucht ist. Das Geld sei dann innerhalb von 2-3 Tagen auf dem Konto des BRK. Jedoch bräuchte ich vorher auch den Nachweis über den Verbrauch der ersten Hälfte. Das heißt: Fotos und Rechnungen, oder wenigstens einen kleinen Bericht über den Stand der Dinge. Ich äußerte auch die Hoffnung, daß bei zukünftigen Problemen der direkte Kommunikationsweg eingehalten wird. Ich behauptete, daß Infos über 4-5 Ecken, keine vertrauensbildende Maßnahme sind.

Das alles entschied und schrieb ich alleine und führte es auch alleine durch. Jedoch wurden alle Interessierten bei KbF über den Stand meiner Aktivitäten auf dem Laufenden gehalten. Ich verstand das unter Verantwortung übernehmen. Als KbF-Mensch und als Kassierer. Bei der Bulgarien-AG des Vereines sah ich jedoch niemanden, der sich dafür interessierte. Alle waren glücklich damit, daß die ersten 5.000 jetzt in Bulgarien sind. Der Rest schien irgendwie egal. Wird sich schon jemand kümmern. Wird schon gut gehen.

Ich erhielt auf meinen Brief keine Rückantwort aus Bulgarien. Mein Versuch ein Mitglied der Bulgarien-AG zu motivieren,  da mal hinterherzutelefonieren und die ganze Arbeit nicht mir zu überlassen, war ohne Erfolg. Immerhin hatten einige Bulgaren des BRK ja deutsch gelernt, während wir noch nichteinmal daran dachten auch nur zwei Sätze bulgarisch zu können. Telefonieren war also möglich. Mein Versuch zu reparieren, was zu reparieren war schien zu scheitern. Jedoch ich gab nicht auf.

Auf der nächsten offiziellen Sitzung der Bulgarien-AG, anwesend waren neben mir auch noch zwei andere Vorstände des Vereines, informierte ich noch einmal über alles, was ich bis jetzt getan hatte und deren Ergebnis. Meine Hoffnung war, daß jemand von den Versammelten jetzt da anknüpfte und weiter machte, wo ich offenbar nicht weiter kam. Statt Eigeninitiative zu entwickeln wurde jedoch ich wieder vorgeschickt. Ich erhielt den Auftrag meinen Brief an die Bulgaren noch einmal abzuschicken. Diesmal per Einschreiben, so daß man wüßte, ob dieses Ding überhaupt angekommen ist. Des weiteren wurde ich gebeten diesen offiziellen Brief der Bulgarien-AG und des Kassierers noch mal etwas deutlicher aus zu formulieren. Ich sollte in diesem Brief auch noch mal hervorheben, daß die Zweite Hälfte der Bausumme erst kommt, wenn die erste Hälfte fast verbaut ist. Da man jedoch mich und meine scharfen Worte kannte, erhielt ich die Auflage diesen neuen Brief sowohl einem Mitglied der Bulgarien-AG, als auch einem Vorstand von kbF gegenlesen zu lassen. Was ich dann auch tat. Von einem kam ein OK. Vom anderen kam bis heute nichts. Ich schickte diesen Brief trotzdem ab.

Nach wenigen Tagen erhielt ich die postalische Bestätigung darüber, daß dieser offizielle Brief von Kbf beim BRK angekommen sei. Vom Kinderheim, um das es ja eigentlich ging, kam keine Rückbestätigung. Ich war trotzdem froh und dachte mir, jetzt sind unsere Gedanken direkt auf dem Tisch unserer Partner vor Ort gelandet. Geht doch. Und das alles ohne Dolmetscher, die man nicht kennt und ohne 4-5 Leute, die hier „stille Post“ spielen.

Vom BRK kam dann auch bald die inhaltlicher Antwort an KbF. Per Fax. Jedoch nicht auf meines, obwohl im Briefkopf des Schreibens meine Faxnummer stand und der Brief von mir kam. Und ja wohl klar war, daß es für Geld bei jedem Verein genau einen Ansprechpartner gibt: den Kassierer.

Der Besitzer des Faxgerätes, auf dem das an mich adressierte Fax landete, sah sich nach etlichen Tagen bemüht mir mitzuteilen, daß da was für mich angekommen sei. So erhielt ich die offizielle Antwort des BRK. Inhalt: hallo Mike, alles OK. Wir machen es so, wie ihr es in Deutschland vorschlagt. Wir freuen uns schon auf deinen nächsten Besuch bei uns.

Ich schlug Purzelbäume. Nach all den Anspannungen und Anstrengungen der letzten Wochen hatte ich es doch tatsächlich geschafft. Ich hatte es doch tatsächlich geschafft als Kassierer dieses Vereines so etwas wie Verantwortung zu übernehmen. Verantwortung über die Art und Weise der Verwendung von Spendengelder. Ich schaffte es nicht in Ruanda und Kongo und ich schaffte es nicht in Kroatien.

Doch jetzt hier in Bulgarien schien es nach drei Jahren endlich mal zu klappen. Ich hatte ja schon an mich selbst gezweifelt. Schon länger beobachtete ich, daß man vereinsintern, hinter vorgehaltener Hand, versuchte mich zum dioten zu stempeln. Nimmt der Drogen? Hat der den falschen Umgang? Die alle konnten mich jetzt mal. Ich hatte den Beweis erbracht: Ich bin kein Strohmann. Ich bin Kassierer.

Was ich, als ich dieses mich berauschende Fax in den Händen hielt, noch nicht wußte und erst kurze Zeit später erfuhr war, daß jemand der Zugang zu den Spendengeldern auf den KbF-Konten hatte, bereits die zweite Hälfte der Bausumme nach Bulgarien überwiesen hatte. Vorbei an den Vorständen. Vorbei an der Bulgarien-AG. Vorbei an den Spendern. Vorbei an den Kassierer. Vorbei an den noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen.

 

Während ich an vorderster Front für KbF kämpfte und mir eine Narbe nach der Anderen zuzog, immer bedacht den Verein zu schützen, kam der Schuß, der mich treffen sollte von hinten. Aus den eigenen Reihen. Ich viel um, wie ein Sack. Plattschuß!

 

Nachdem ich wieder Luft bekam recherchierte ich, wie so etwas passieren konnte. Warum? Warum, warum, warum? Ich war doch immer loyal? Vor den Bulgaren stand ich mit runter gelassener Hose da. Der KbF-Kassierer, der da gern die Heldenbrust raushängt, wußte offenbar nicht, was im eigenen Laden vor sich ging. Ich war geouted als hohle Nuß.

 

Ich erhielt Antwort aus der KbF-Führungsetage: Man sei sehr bemüht mich zu verstehen. Könne es aber nicht.

Und außerdem schwätzten da jetzt zu viele Leute mit. Wo käme man denn hin, wenn irgendwelche Vorstände auf einmal Entscheidungen treffen wollten.

 

Alles klar.

Was will man mehr.

So hatte die Welt einen Kassierer weniger.



 

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