Interview Bürgermeisterwahl

2011 fand in meiner Wahlheimat Hechingen eine Bürgermeisterwahl statt.

Mitunter reizte es mich, für diesen Posten zu kandidieren.

Und interviewte mich dafür schon mal selbst.

 

 

Herr Michelus sie kandidieren zur nächsten

Bürgermeisterwahl in Hechingen. Warum?

 

Weil ich es darf.

 

Und was qualifiziert sie?

 

Meine „Inhaltslosigkeit“.

 

Dafür wird man normalerweise nicht gewählt.

 

Stimmt. Jedoch als Volksvertreter, ob Stadtrat, Bürgermeister oder sonst was, sehe ich mich als gewählten Vertreter der Bürger. Ich selbst wäre dabei ein leeres Gefäß, das der Wähler mit Inhalt füllt. Wenn sie also wissen wollen, was ich zu wollen hätte, dann fragen sie die Bürger, die mich wählen könnten, und mich dann auch für die Umsetzung ihres Willens, über Steuern, bezahlen.

 

Das heißt, sie weigern sich für ihre Kandidatur irgendein Zukunftskonzept anzubieten?

 

Meine Gespräche mit den Bürgern zeigt, die Hechinger sind nach 20 Jahren gelangweilt darüber, immer wieder neue Konzepte vorgelegt zu bekommen. Konzepte, die später oft nicht realisiert werden. Und wenn doch, zielgenau in einem Desaster enden. Das Wort „Kernstadtbelebung“ kann hier keiner mehr hören. Zum Beispiel.

 

Aber der Wähler will ein Angebot.

 

Die Gründer der BRD verstanden Demokratie nicht als einen Supermarkt. Der Wähler braucht kein Angebot. Der Wähler stellt Forderungen. Diese Forderungen haben die gewählten Volksvertreter umzusetzen.

 

Die Privatisierung des Schwimmbades wäre mit ihnen also nicht denkbar gewesen?

 

Lassen sie uns von etwas schönem reden.

 

Zum Beispiel?

 

Von der Brünetten da hinten.

 

Da ist keine.

 

War ein Versuch.

 

Die Kritiker der direkten Demokratie halten dagegen, daß man das Volk manchmal

auch führen müsse.

 

Führen wohin? Soviel Kopflosigkeit und Blässe wie in den letzten zehn Jahren habe ich von deutschen Politkern ja schon lange nicht mehr erlebt. Deshalb ist die Frage für mich: wieviel Mündigkeit und Eigenverantwortung trauen wir unseren Mitmenschen eigentlich selber zu? Wir sind doch keine Deppen. Vorausgesetzt wir haben unseren Fernseh-Konsum im Griff. Glauben wir denn wirklich die Mehrheit unserer Mitbürger würde wieder die Todesstrafe fordern, wenn Kinderschänder für zwei Wochen die Schlagzeilen beherrschten? Wenn ja, würde ich darüber mit meinem Nachbarn streiten. Auch im Supermarkt. Überall und laut. Das wäre Demokratie in Anwendung.

 

Und wenn die Mehrheit dann doch sagt: Kopf ab...

 

... dann wäre das verfassungswidrig und dürfte vom Bundespräsidenten nicht unterschrieben werden.

 

Und wenn die Mehrheit erst gar nicht zur Wahl geht?

 

Dann lebe ich auf den falschen Planeten. Und kläre das mit meinem Therapeuten.

 

Die direkte Demokratie und sie haben also ihre Grenzen?

 

Ja, sehr weit gesteckte. Weit genug, daß jeder sich darin entfalten kann.

 

Auch die Taliban?

 

Der Taliban ist nicht in Hechingen und braucht auch keine Demokratie. Er hat auch so schon genug Probleme.

 

Und welche?

 

Uns.

 

Aber in Afghanistan sterben deutsche Soldaten für Freiheit und Demokratie.

 

Als die Talibanesen, oder waren es die Muhadschedin, oder einfach nur der Afghane, die sowjetischen Besatzer vor Jahren aus ihrem Land jagten, hat die demokratische Welt applaudiert und sie als Freiheitskämpfer gefeiert und auch finanziert.

 

Damals kämpften sie gegen eine kommunistische Diktatur.

 

Sie haben gegen einen „Besatzer“ gekämpft. Wie jetzt auch. Der Mutter am Herd ist es egal, welche Uniform oder Weltansicht ein Gast mitbringt. Er soll sich hinsetzen und essen. Und nicht den Speiseplan für morgen diktieren. Es sei den, er wird dazu aufgefordert.

 

Gut, zurück nach Hechingen, da sie offenbar keinen inhaltlichen Plan für diese Stadt haben...

 

...ich habe einen.

 

Verraten sie ihn?

 

Das ist schwierig, denn jeder Plan und jedes Konzept für Hechingen muß scheitern, bevor nicht das

eigentliche Problem dieser Stadt gelöst ist.

 

Und das wäre?

 

Die Schwaben-Mafia. Manche sagen auch, mit ein wenig Stolz, Vitamin B dazu.

 

Vitamin B gehört zur ländlichen Kultur. Man kennt sich halt. Aber Mafia? Das können sie doch nicht im ernst behaupten.

 

Ich kann. Nehmen wir ein Beispiel. Vor einigen Jahren arbeitete ich in einem Hechinger Betrieb.

Der Besitzer beschwerte sich bei einer gewissen lokalen Person, einem Dutzfreund von Erwin Teufel, über ein Parkverbotsschild vor seinem Geschäft. Am nächsten Tag war es weggeflext. Die StVO wurde mal eben abgeschafft. Eigentlich gefällt mir diese „Eigenverantwortung“, aber irgendwo hat das auch Grenzen.

 

Und wo genau?

 

Genau dort, wo ehemalige Großgrundbesitzer, die jetzt Groß-Industrielle sein wollen, aber mental Bauern blieben, mit einem Koffer voller Geld in eine Gemeinderatssitzung platzen und die dortigen Volksvertreter anbrüllen, was ihnen den eigentlich einfiele, und ob sie nicht wüßten, wem diese Stadt „gehöre“ und man solle ihm jetzt gefälligst diese oder jene Immobilie verkaufen ... oder wenn beim Umbau denkmalgeschützter Gebäude, wie damals dem Museum, mal eben eine Fassade umkippt und der Baggerfahrer für dieses „Versehen“ eine Kiste Bier bekommt. Was billiger ist als Denkmalschutz.

 

Nur eine Kiste Bier? Das ist günstig.

 

Ich hoffe es war kein Oettinger. Das wäre dann auch noch Dumping.

 

Nun gut Vitamin B. Man hilft sich halt. Wie würden sie das regeln?

 

Auch mit Vitamin B. Aber bei mir stünde das „B“ für Bürger. Ein wenig unbürokratischer Freigeist ist bei mir ja immer willkommen, wenn er dem Wohle der Allgemeinheit dient und nicht dem Eigeninteresse Einzelner.

 

Was sie da aufzählen sind Gerüchte und Unterstellungen, und beweist noch gar nichts.

 

Es geht nicht um Beweise. Es geht um Strukturen. Solange eine Handvoll Alteingesessener meinen, ihnen gehöre diese Stadt, können wir Bürger der Selbstverwaltung unserer Gemeinde, wie sie in Artikel 25; Absatz 3 der Verfassung Baden-Württembergs festgelegt ist, nur nachweinen.

 

Was wäre denn ihre erste Amtshandlung als Bürgermeister?

 

Vor jeder Gemeinderatssitzung würde ein Stadtrat verpflichtet, das wechselt nach dem Rotationsprinzip, einen Witz zu erzählen. Wer keinen hat, fliegt raus. Wer nicht lachen kann, verliert für diese Sitzung seine Stimme.

 

Margot Honecker läßt grüßen.

 

Lebt die noch?

 

Als Bildungsministerin der DDR forderte sie 1983 in einem Kommuniqué, daß jeder Bürger einmal am Tag fünf Minuten lachen solle.

 

Ich weiß nicht was für Drogenprobleme Frau Honecker hatte. Aber die Idee ist gut.

 

Und sie wollen das wieder einführen. Sind sie ein Linker?

 

Ich lache viel und gerne, wenn es von Herzen kommt und ehrlich ist. Im Stasi-Keller Anno 1985 wurde mir das jedoch abgewöhnt.

 

Und jetzt lachen sie wieder?

 

Ja, aber jetzt hat es einen gewissen Nachklang.

 

Also links oder nicht?

 

Sie bringen mich in Verlegenheit.

 

Sagen sie es doch.

 

Was?

 

Das sie ein linker Spinner sind.

 

Ich bin Demokrat.

 

Aus Überzeugung?

 

Aus Erfahrung.

 

Im Ernst und zum Abschluß: wer soll sie denn wählen?

 

Sie und ich.

 

Das reicht vielleicht nicht.

 

Wäre aber ein demokratischer Vorgang.

 

Und wofür soll das gut sein?

 

Einer aus dem Volk für das Volk. Klingt primitiv, aber so ist die Idee.

 

Und wenn sie nicht funktioniert ...

 

... wird Herr Ackerman bald Bundespräsident. Und Dieter Bohlen Bildungsminister.

 

Eine Frage noch, wie ist ihr Verhältnis zu unseren ausländischen Mitbürgern?

 

Raus mit dem ... (ähm Schuldigung).

 

Warum sagen sie daß?

 

Weil es Wählerstimmen bringt.

 

Dann müßten sie auch gehen.

 

Warum?

 

Weil sie zwar einen deutschen Paß haben, aber ihre Großmutter aus der Ukraine stammt ...

 

... Bessarabien, bitte schön. Außerdem war sie eine deutsch/schwäbische Siedlerin.

 

... was heute auch Moldawien ist.

 

Also gut, dann sage ich: Ausländer? Find ich gut.

 

Sie wechseln aber schnell ihre Meinung Herr Michelus.

 

Danke. Ich bereite mich vor.

 

Auf was?

 

Auf die Politik.

 

Sie provozieren also gerne?

 

Ja.

 

Warum?

 

Weil ich es kann.

 

Ist das ihre Stärke?

 

Es ist mein Leben.

 

Und was sind ihre Stärken?

 

Mein Bruder meint: meine soziale Kompetenz. Er nannte mich mal einen „Menschenversteher“.

Ich selbst würde es eher als eine emotionale Intelligenz bezeichnen. Andere sagen wieder, ich könnte einfach nur gut kochen und zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Na ja ...

 

Das heißt konkret was?

 

Ich bin ein „Grenzüberschreiter“, was übrigens die korrekte Übersetzung des Wortes „Stalker“ ist .

Ich kann mit Allen. Mit links, mit rechts, mit oben und mit unten. Ich habe keine Berührungsängste.

Was nicht heißt, daß dabei keine Fetzen fliegen. Denn das Leben im allgemeinen interessiert mich.

Grenzen empfinde ich dabei eher als eine Behinderung.

 

Und ihre Schwächen?

 

Mein Hang zur Dickköpfigkeit, Besserwisserei und eine grenzenlose Ungeduld, wenn ich mal weiß, was ich will. Bei mir muß dann alles sofort passieren. Dabei überrolle ich manchmal Andere.

 

Ihr Verhältnis zur Gewalt, würden sie wie definieren?

 

Mit zwei Worten: absolute Ablehnung. Schon aus häuslicher Erfahrung.

 

Und ihr Lieblingsspruch ist?

 

Kochen kann jeder, man muß es bloß überleben!

 

Sie waren ja mal...

 

...zehn Jahre selbständig als Profikoch. Kann ich nur von abraten.

 

Warum?

 

Es gibt Leute die waren vor Stalingrad, oder sind jetzt in Afghanistan. Bei mir war es die Küche.

Der Adrenalin-Kick ist wohl der selbe. Die Alpträume sicher auch.

 

Unsere Leser wollen jetzt aber wirklich wissen, was Sie als Bürgermeister eigentlich wollen.

 

Ich würde einigen städtischen Beamten des Rathauses ein Angebot für den Vorruhestand machen.

Wer länger bleiben will, soll mich überzeugen. Überzeuge davon, daß er/sie bereit ist

dem Bürger und damit der Stadt zu dienen. Bremser und „Ja, aber ...“-Sager sind nicht meine Sache.

 

Haben Sie schon mal über Gott nachgedacht?

 

Gott und ich sind uns einig. Er macht seinen Job und ich mache meinen. Wenn wir in Rente sind,

trinken wir eine Flasche Rotwein zusammen und ziehen Resümee.

 

Warum nicht jetzt?

 

Gott hat wenig Zeit für uns Menschen. Oder speziell für solche wie mich. So warte ich.

Denn die Termine macht er. Im übrigen nannte mich in Ruanda ein Kamerad mal einen „faulen Christen“. Fand ich sehr ehrlich und direkt. Aber die Krise da unten hatte trotzdem ER. Nicht ich.

 

Herr Michelus, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Einen hätte ich noch.

 

Bitte.

 

Demokratie ist anstrengend, dauert lange und bringt nicht viel.

Aber es ist das Beste, was wir je hatten.

 

Und?

 

Ein Zitat von Monika Zeretzke aus Anklam. So eine Art Hildebrandt-Typ.

Die einzige Politikerin, vor der ich je Respekt hatte.

 

Vor Frau Zaretzke, die für „Die Linke“ kandidiert?

 

Vor Frau Regine Hildebrandt. War SPD glaube ich.

 

Danke für Ihr Abschlußwort.

 

Wenn ich noch mal ...?

 

Fassen Sie sich bitte kurz!

 

Der Alb-Komiker „Herr Hämmerle“ sagte einmal zu den Burladingern: T-Shirts herstellen sei doch

kein Grund für eine Stadt. Daran anlehnend möchte ich den Hechingern zurufen:

Parkplätze sind es auch nicht.

 

Das war’s?

 

Das war’s.